Rund 1,7 Millionen Menschen leben in Deutschland mit einer Krebserkrankung, die in den letzten 5 Jahren diagnostiziert wurde und stellen fest: Nach einer Krebsdiagnose ist nichts mehr, wie es mal war! Bereits vor fast 35 Jahren hat einer der Pioniere der Psychoonkologie, Nikolaus Gerdes[1], diese Situation ganz treffend als den „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ beschrieben. Denn Krebs erreicht uns plötzlich, unerwartet. Und zieht uns mit seiner Bedrohlichkeit buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Diese Empfindung geht einher mit dem Gefühl der Angst, der Ohnmacht und vor allem des Kontrollverlustes. Eine Krebsdiagnose versetzt den Menschen in einen Schockzustand. Es ist eine tiefgreifende, traumatische (Lebens-)Erfahrung, d. h. neben der körperlichen, auch eine seelische Verletzung. Krebs kränkt![2]
Die Selbstbestimmtheit geht verloren, Normalität wird zum Ausnahmezustand. Das gesamte gewohnte Leben verändert sich, gerät ins Wanken, scheint zu entgleiten. Der Körper ist nicht mehr so belastbar wie früher, sieht möglicherweise unter der Krebstherapie anders aus. Und wer kennt sie als Erkrankter nicht, diese mitleidsvollen, verschämten Blicke, wenn die Spuren der Erkrankung sichtbar werden und man selbst nebenher noch mit Scham, Wut und Trauer zu kämpfen hat.
Krebs ist nicht nur eine körperliche Erkrankung, sondern ein ganz vielschichtiges Phänomen, sowohl auf der physischen wie auch seelischen, geistigen und sozialen Ebene. Von daher müssen auch die personellen Gefüge dem Druck dieser Erkrankung standhalten und dabei sind meist ganze Familien betroffen. Rolle und Status können sich wandeln. Nicht selten stehen berufliche, finanzielle Existenzen auf dem Spiel. Tagesabläufe sind nicht mehr wie gewohnt, wenn man ständig beim Arzt oder in der Klinik ist und einem die Kraft für die ganz alltäglichen Dinge fehlt. Auch das gesamte Umfeld wandelt sich. Bekannte, Freunde, Kollegen, Nachbarn wissen nicht mehr genau, wie sie mit einem umgehen sollen… Da kann bereits allein die Frage „Wie geht es?“ manchmal zu einem Problem werden … für alle beteiligten Seiten!
Jenseits der Normalität
Leben mit Krebs ist ein Leben „Jenseits der Normalität“[3], oder zumindest parallel dazu. Dabei wünschen sich Krebspatienten nichts sehnlicher, als das zu tun, was zuvor als ganz normaler Alltag und ohne groß darüber nachzudenken, als ganz selbstverständlich schien und gegenwärtig nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Was würde man dafür geben, wenn man das Rad der Zeit zurückdrehen könnte, alles ungeschehen machen, einfach so tun könnte, als wenn nichts wäre. Doch das ist leider bei einer Krebserkrankung nicht der Fall.
Krebs ist auch mit viel Stress verbunden. Umso wichtiger wird es, Normalität zu schaffen, Wege dafür zu ebnen, Verständnis für diese doch sehr besondere Situation zu erlangen, sowohl als Betroffener, als auch für das jeweilige Umfeld. Dies bestätigt auch die Leiterin des Essener Institutes für PatientenErleben Monja Gerigk. Menschen sind mehr als nur ihr Krankheitsbild, denn zwischen den Behandlungen und den Krankenhausaufenthalten ist es für sie wichtig, ein Stück Normalität zu erhalten und auch leben zu können.[4]
Gut ist, was guttut
Fragt man Krebspatienten, was ihnen neben der Erkrankung und Behandlung zu schaffen macht, so ist es auch die Normalität der anderen. Sie nervt! Neidvoll und schmerzlich schaut man, wie die Nachbarn einfach in Urlaub fahren, wenn man selbst wieder zur nächsten Chemo muss. Selbst der regelmäßige Friseurbesuch ist nicht möglich, wenn die Haare fehlen. Alles simple Alltäglichkeiten, die man schlicht und ergreifend vermisst. Doch Krebspatienten haben ganz eigene Strategien ihre normale Welt wiederherzustellen.
So beschwerte sich einmal ein junger Mann in einer psychoonkologischen Sprechstunde, dass seine krebskranke Mutter ständig putze, sie wäre doch körperlich so angegriffen. Er verstünde nicht, warum sich seine Mutter mit so stupiden, unsinnigen Sachen in ihrer Situation befasse. Es gäbe doch jetzt Wichtigeres und Schöneres zu tun, als die Wohnung in Ordnung zu halten. Ihm fehlte die Erkenntnis, dass seine Mutter damit nicht nur Ablenkungsmanöver von ihrer Krankheit startete, sondern auch versuchte, ihre Normalität, d.h. ihren normalen, gewohnten Alltag wiederherzustellen. Ich putze – also bin ich!
Ein Aktionismus, der nur schwer nachvollziehbar ist, denn als Angehöriger hat man Sorge, dass sich das Familienmitglied übernimmt, gerne will man helfen. Grundsätzlich aber geht es dabei auch noch um etwas viel Bedeutsameres, nämlich um die Botschaft: Ich will als Erkrankter wieder die Kontrolle zurück, über meinen Körper, über mein Leben, über alles was mich ausmacht! Hier sollte die Devise gelten, gut ist was guttut. „Geben Sie Ihren Bedürfnissen nach. Für irgendwas wird es schon gut sein.“[5]
Krebs verändert das Leben für immer
Krebs verändert das Leben nicht nur punktuell, sondern auch sehr nachhaltig, nämlich für immer[6]. Auch wenn die Behandlung abgeschlossen ist, ist nichts mehr wie vorher. Konditionelle Schwächen, Fatigue Syndrom (Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom), Polyneuropathien und andere Begleit- und Folgeerscheinungen/Nebenwirkungen der Krebsbehandlung machen den Patienten noch lange zu schaffen. Hier gilt es, gut auf sich aufzupassen und alle Angebote rehabilitativer Maßnahmen, sowie alle Möglichkeiten der sozialen, beruflichen und finanziellen Hilfen auszuschöpfen, um die möglichen Einschränkungen in einem begrenzten, „normalen“ Rahmen zu halten.
Umgang und Kommunikation mit Krebspatienten
Krebspatienten bekommen überdies viel zu hören, oft ungefragt. Krankheitsbeschreibungen von anderen, läppische Aufmunterungen der Marke „Wird schon wieder!“, unbedachte Taktlosigkeiten, oder wohlgemeinte Ratschläge, was man alles zu tun und zu lassen hat. Kommunikation ist im Umgang mit Krebspatienten eine hochsensible Angelegenheit. Es ist ein weiteres und weites Feld der Tretminen und Fettnäpfchen. Dies beginnt oft schon mit der Mitteilung der Diagnose, setzt sich mit der Weitergabe der Information an Angehörige, Freunde und in allen künftigen Begegnungen fort.
Man weiß als Betroffener nicht so recht, was man dem Gegenüber an Gesprächsinhalten und eigenen Emotionen zumuten kann und umgekehrt weiß das Umfeld nicht so genau, welche Themen man anschneiden kann, soll und darf. Es bilden sich Kausalketten aus Befangenheit, Unsicherheit und schließlich Rückzug. Damit ist im Krankheitsfalle niemandem gedient.
Es ist wahrscheinlich die Mischung aus Reden, Zuhören und auch einmal miteinander schweigen zu können, die hilft. Und es ist der Wunsch der Patienten nicht immer nur über Krankheit reden zu wollen, sondern auch mal wieder lachen zu dürfen – eben ganz „normale“ Gespräche zu führen. Denn zweifelsohne bleibt der Umgang mit einer Krebserkrankung ein Ringen um Sprache und Emotionen, denn „Krebspatienten sind anders“[7]. Da helfen nur Offenheit und die Frage an den Erkrankten: Was brauchst du jetzt?
Auch auf der Beziehungs- und Partnerschaftsebene führt Krebs oft zu Veränderungen. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Erkrankung entweder die Verbindung kittet oder sprengt.[8] Es gibt hier anscheinend nur hopp oder top. Unbestritten aber ist die Tatsache, dass eine stabile menschliche Beziehung nicht nur bei der Krankheitsbewältigung hilft, sondern auch ein Stück Normalität schafft, nämlich mit der Kombination aus: tragen und getragen werden.
Balanceakt
Eine Krebserkrankung ist nicht nur ein (Lern-)Prozess, sondern auch ein Balanceakt für alle Beteiligten, eine Gratwanderung zwischen einerseits dem Erkrankten helfen zu wollen und ihn gewähren, bzw. ihm seine Autonomie zu lassen; umgekehrt bedeutet dies für den Patienten einen Mittelweg zu finden, zwischen Selbstbestimmung, dem Wunsch so normal wie möglich leben zu können und zu wollen und gleichzeitig der Notwendigkeit Hilfe anzunehmen und schließlich realisieren zu müssen, dass bestimmte Dinge einfach nicht mehr so gut und so schnell funktionieren wie früher. Geduld und Akzeptanz mögen dabei auf allen Seiten hilfreich sein.
Zweifelsohne ist eine Krebserkrankung eine ganz besondere Herausforderung im Leben eines Menschen. Auf diesem Weg, dem Zurückerobern von Handlungsfähigkeit, Kontrolle, Autonomie begleiten Sie liebe Patientinnen und Patientinnen, sowie natürlich auch die Angehörigen, die verschiedensten Disziplinen der Krebsberatung in Duisburg mit ihren entsprechenden Unterstützungsangeboten (medizinisch, psychoonkologisch und sozial).
[2] Steinvorth, M.G. Die Krebsreise. Ein kleiner Reisebegleiter für krebskranke Menschen. Berlin 2015, S. 9
[3] Ebd.
[4] Siehe „Ein Stück „Normalität“ in der Erkrankungsphase. https://patientenerlebnis-design.de/ein-stueck-normalitaet-in-der-erkrankungsphase/
[5] Staudinger, N. Stehaufqueen. München 2018, S. 53.
[6] Siehe Dignös, E. Krebs verändert das Leben für immer. https://www.welt.de/print/die_welt/wissen/article141628344/Krebs-veraendert-das-Leben-fuer-immer.html
[7] Künzler, A. et. al. Krebspatienten sind anders. Was häufig auffällt und was manchmal schwierig ist, in: Schweiz Med Forum, Zürich 2010, S. 344-347.
[8] Vgl. https://www.wochenblatt.com/landleben/gesundheit/krebs-kittet-oder-sprengt-beziehungen-8835610.html
https://www.zeit.de/2018/10/partner-krebspatienten-beziehung-erfahrungen-tipps